23. Mai 1992
Am 23. Mai 1992 wurde der Richter Giovanni Falcone auf der Autobahn Palermo-Trapani bei Capaci brutal ermordet. Die Bombenleger sprengten einen Abschnitt der Autobahn mit einer 500 kg schweren TNT-Ladung in die Luft, während die drei gepanzerten Fahrzeuge des Richters und seiner Eskorte die Autobahn passierten. Zusammen mit Richter Falcone kamen auch seine Frau Francesca Morvillo, ebenfalls Richterin, und die Begleitagenten Vito Schifani, Rocco Dicillo und Antonio Montinaro bei dem Anschlag ums Leben. Darüber hinaus wurden 23 weitere Personen verletzt.
über Giovanni Falcone, die Mafia und dessen gefährliche Verharmlosung
Wenn wir an Italien denken, kommen uns viele Sachen in den Kopf: die Kultur, das Essen, die Sprache, aber auch Phänomene wie die Mafia verbinden wir mit dem Land. Es scheint eine von uns entfernte Realität zu sein, die wir nur aus Hollywood-Filmen kennen, die wir als glamourös und mysteriös auffassen, über die wir nicht sonderlich viel wissen, da sie für uns in Deutschland keine Bedrohung darstellt - oder doch? Wofür steht die Mafia wirklich? Und sind wir in Deutschland davor geschützt?
Der Richter Alessandro Bellardita beschäftigt sich schon seit einigen Jahren mit den "Mechanismen des organisierten Verbrechens aus rechtlicher und insbesondere verfassungsrechtlicher Sicht". Um diese besser zu verstehen, orientiert er sich an "den großen Köpfen der italienischen Anti-Mafia" wie Giovanni Falcone, ein Richter, der zum Symbol der Bekämpfung der organisierten Kriminalität geworden ist. Falcone beschäftigte sich vor allem mit der Cosa Nostra ("Unser Ding") und veröffentlichte zusammen mit Marcelle Padovani im Jahr 1993 das Buch "Cose di Cosa Nostra" ("Mafia intern"). Die Mafia wird, wie der Titel schon erahnen lässt, "von innen heraus analysiert". Bellardita erklärt, dass sich Falcones Gedanken zwar auf die Cosa Nostra beziehen, jedoch auch für weitere Mafia-Clans wie die 'ndrangheta gültig sind.
Die Überlegungen des Juristen Bellardita zentrierten sich vor allem darauf, was die Mafia eigentlich "mit der Zivilgesellschaft und den Bürgerrechten macht" und werden in seinem neuen Buch in italienischer Sprache "La fine delle mafie - a lezione da Giovanni Falcone" ("Das Ende der Mafias - eine Unterrichtsstunde bei Giovanni Falcone") veranschaulicht. "Die Mafia ist nämlich anti-demokratisch, sie ist gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau und absolut gegen die Meinungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung" so Bellardita. Viele Journalisten mussten die Konsequenzen dieser radikalen Denkweise mit ihrem Leben bezahlen. Im Buch wird genauer darauf eingegangen, "wie sehr die Mafia unserem System schadet" und es ist ein Versuch, die Werte, "die wir Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Staatlichkeit und vor allem Freiheit nennen" zu vermitteln.
Das neue Werk Bellarditas basiert auf den Untersuchungsmethoden des Giovanni Falcone, die uns der Autor kurz erklärt.
"Giovanni Falcone ist derjenige, der als erster erkannt hat, dass man, um die Mafia wirklich zu besiegen, nicht so sehr das sichtbare Verbrechen, den Mord, den Drogenhandel, die Erpressung oder die Schutzgelderpressung angreifen muss, sondern das eigentliche Ziel aller Mafiabanden, nämlich finanziellen Gewinn zu erzielen und dadurch die Macht über das Territorium zu erlangen." Durch die sogenannte Falcone-Methode, werden die Straftaten der Mafia verfolgt, um an dessen Kern und das noch größere Verbrechen zu gelangen.
"Falcone konnte von einer großen Reform des Strafgesetzbuchs profitieren: Im September 1982, nach der Ermordung von Pio La Torre und dem General dalla Chiesa, wurde endlich ein Anti-Mafia-Gesetz erlassen, das es ermöglichte, Mafiosi als Mafiosi zu bekämpfen. Das Gesetz 416bis ist von grundlegender Bedeutung, da es die Person des Mafioso kriminalisiert und somit kein Politiker mehr die Existenz der Mafia leugnen konnte, was bis zu diesen Jahren der Fall war" erklärt Bellardita. Falcone machte sich genau dieses Gesetz während dem maxi processo (Maxi-Prozess) zunutze. Dieser Prozess galt in den 1980er Jahren als der größte gegen die Mafia. "Um die Größe des maxi processo und diesen großen "Opfergeist", wie er es nannte, der den Sinn des Staates ausmachte, zu verstehen, muss man sich einige Daten vor Augen führen. [...] Die Anklageschrift des maxi processo, besteht aus 28 Bänden, die insgesamt etwa 8000 Seiten umfassen, woraus man erkennen kann, wie viel Arbeit dahinter steckt. Außerdem wurde der Gerichtssaal des Bunkers in nur wenigen Monaten gebaut, und die Zahl der Verdächtigen belief sich auf 475, von denen die allermeisten verurteilt wurden." Genau diese Verurteilungen wurden Falcone zum Verhängnis. "Die Cosa Nostra glaubte, die Urteile auch dieses Mal vor dem Kassationsgerichtshof zu ihren Gunsten entscheiden zu können. Die Tatsache, dass dies nicht gelungen ist, ist einer der Gründe für die zahlreichen Morde in jenem grauenhaften Jahr 1992."
Falcone, das "Symbol der Anti-Mafia", hat die Mafia und dessen Mechanismen verstanden, wie kein anderer. Genauso wie das Gesetz und den Staat, die er immer ehrenhaft respektierte.
Doch was können wir und die neuen Generationen von Falcone lernen? Allein die Geschichte Falcones, sein tragischer Tod und der vieler anderer, sollte uns vor Augen bringen, wie gefährlich und vor allem kaltblütig die Mafia ist. Sie ist nicht so, wie sie uns in den zahlreichen Hollywood-Filmen oder Liebesromanen dargestellt wird. Das Leben der Mafiosi besteht nicht aus Glamour, Privatjets und schönen Frauen, sondern aus Drogenhandel, Mord, Unterdrückung, Freiheitsberaubung und noch vielen weiteren grausamen Dingen, die wir uns nicht einmal vorstellen möchten. Ein Mafioso ist kein "Ehrenmann", ein Mafioso ist ein Verbrecher. Die Mafia ist nichts Ehrenhaftes, die Mafia ist eine Gefahr für den Einzelnen und für unsere Demokratie. Wir dürfen nicht darauf warten, "dass die Mafia früher oder später verschwindet", sondern wir müssen aktiv Teil daran haben, sie zu bekämpfen.
"Die Aufgabe eines jeden von uns ist es, unabhängig von der Arbeit, die wir machen, zu versuchen, das weiterzugeben und allen verständlich zu machen, nicht nur den jungen Leuten, sondern auch all denen, die vielleicht aus dem einen oder anderen Grund die Mafia auf absurde Weise relativieren oder lächerlich machen, dass die Mafia in der Tat einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig ist und daher jeden Tag bekämpft werden kann. Sei es auch nur durch die Einhaltung der Regeln" erklärt Bellardita.
Wieso wird die Mafia in unserer Gesellschaft also immer noch verharmlost, oder teilweise sogar als etwas "cooles" gesehen, wenn ihre Verbrechen doch bekannt sind? Und was für Folgen hat das, auch für unsere Sicherheit?
Richter Bellardita erzählt uns eine kurze Episode, die ihm widerfahren ist, um die aktuelle Situation in Deutschland zu veranschaulichen. "Es war ein ganz normaler Tag und ich war als Staatsanwalt im Gericht. In den Gerichtssaal kam ein Anwalt, den ich nur wenig kannte, der aber ein netter Mensch war, herein und sagte mir, vielleicht wegen meiner mit Gel zurückgekämmten Haare, dass ich an diesem Tag wirklich wie ein Mafioso aussah, womit er mir ein Kompliment machen wollte." Für einige wäre diese Aussage wenig problematisch, doch sie spiegelt leider eine Realität des Herunterspielen der Gefahren der Mafia wider, in der wir uns in Deutschland befinden, und das nicht nur gesellschaftlich, sondern auch politisch. Ähnlich wie in Italien in den 1970er Jahren, nimmt hierzulande kein Politiker das Wort "Mafia" in den Mund. Bellardita verdeutlicht, dass "in den letzten drei Koalitionsverträgen, die sowohl von der Großen Koalition als auch im letzten von der Ampelkoalition geschlossen wurden [...] das Wort Mafia (nur einmal) vor(kommt). Man spricht allgemein von organisierter Kriminalität, verstanden als Clans, Banden, vor allem in Bezug auf die libanesischen Banden in Norddeutschland oder die Rockerbanden, die den Drogenhandel kontrollieren, aber nicht den eigentlichen Kampf gegen die Mafia, und leider ist einer der wichtigsten Mängel unseres Strafrechtssystems in Deutschland auf die Ignoranz der Politiker zurückzuführen." Hier in Deutschland gibt es keine Anti-Mafia-Gesetze, generell ist "der deutsche Rechtsrahmen gegen alle kriminellen Vereinigungen, aber insbesondere gegen die Mafia, [...] absurd lückenhaft" meint Bellardita.
Die Politik verharmlost die Existenz der Mafia in Deutschland, weil sie als ein "italienisches" Problem gesehen wird. Bellardita kritisiert diejenigen, die meinen, dass "die Mafia in Italien im Land verwurzelt und etwas Kulturelles" ist, aber "in Deutschland nur importiert wird und daher nicht als ein im Land selbst verwurzeltes Problem angesehen" werden muss. Die Mafia, egal wo sie agiert, folgt immer denselben brutalen Methoden und breitet sich in den unterschiedlichsten Bereichen aus. Die Mafia ist eine "Wirtschaftsmafia, die Geldwäsche betreibt und Milliarden verwaltet, und zwar auf halblegale Weise", denn es gibt keine Maßnahmen, die solche Geschäfte verhindern. "Das Gesetz über die Geldwäsche ist zu komplex und bezieht sich ausschließlich auf den kriminellen Akt der Geldwäsche, und es fehlt die in Italien in 416bis vorgesehene Möglichkeit, gegen eine Person zu ermitteln und ihr Vermögen einzufrieren, wenn nachgewiesen ist, dass sie der Mafia angehört." erläutert der Autor.
Nicht nur die Politik verharmlost die Mafia, sondern auch unsere Gesellschaft.
Wir witzeln darüber, dass ja alle Italiener Mafiosi seien. Wir organisieren in der Abi-Mottowoche den Mafia-Tag, und kommen alle mit schwarzer Sonnenbrille und Anzug, weißem Hemd, mit gegeltem Haar, Goldkette, sowie Ring, gekleidet in die Schule. Wir lesen Liebesromane, in denen die Hauptfigur von einem Mafia-Boss entführt wird und dies in einer unglaublichen Liebesgeschichte endet. Und wir glauben, die Italiener tun und denken genauso. Doch das ist nicht so. Die meisten Italiener sind strikt Anti-Mafia, denn sie wissen, für was die Mafia wirklich steht, wozu sie in der Lage ist und leiden womöglich sogar selbst unter ihr.
Richter Bellardita ist der Meinung, "dass wir in Deutschland wirklich eine Anti-Mafia-Kultur brauchen. Wir müssen versuchen, die Deutschen dazu zu bringen, ihre Sichtweise zu ändern und die Mafia nicht mehr als italienisches [...] Phänomen zu betrachten, sondern, da Italien Teil Europas ist, als europäisches Phänomen." Somit auch als Deutsches. "Wenn ein italienischer Richter oder Journalist stirbt, ist das so, als ob ein europäischer und damit im weitesten Sinne ein deutscher Richter oder Journalist stirbt. Über die Toten und Märtyrer der Mafia zu sprechen, auch wenn es ein wenig makaber erscheinen mag, ist auch in Deutschland wichtig."
Verantwortung trägt hier auch die Schule, die junge Generationen über solche Themen nicht aufklärt. Das Mafia-Thema muss angesprochen werden, das Ziel muss "die Dekonstruktion, die Entlarvung des "heroischen" Mafiabildes, das in Deutschland immer noch präsent ist", sein. Auch der alleinige Gebrauch des Wortes Mafia in der Alltags-, sowie Mediensprache, "der zur Verharmlosung des Phänomens beiträgt, ist falsch. Es ist notwendig, das Bewusstsein für die Ernsthaftigkeit der Mafia zu verbreiten und den Menschen klarzumachen, dass die Ansiedlung einer Mafia auf deutschem Boden der deutschen Gesellschaft einen dauerhaften Schaden zufügt." schließt Bellardita ab.
Auch wir, als Individuen, können im Alltag und privaten Bereich die Verbreitung dieser schädlichen Stereotype vermeiden, indem wir uns dagegen wehren sie weiter zu verbreiten, und falsche Vorstellungen durch recherchierte Fakten ersetzen.
Matilda Madonna